Sylvias Zeichenecke

Über das Zeichnen

Es scheint so viele Menschen da draußen zu geben, die beim Betrachten anderer Leute Zeichnungen sagen, sie wünschten, sie könnten auch so zeichnen, aber sie hätten nicht das Talent dafür. Sie wissen nicht, dass man weder besonderes Talent noch jahrelanges exzessives Üben braucht, um eine ansehnliche Zeichnung zu Papier zu bringen. Jeder, der es wirklich möchte, kann es lernen. Vor allem, wenn man anderen beim Zeichnen zuschaut, und es einen in den Fingern juckt, selbst loszulegen, sollte man nicht länger warten.

Es gibt heutzutage so viele Möglichkeiten, sich die Grundlagen anzueignen, gerade auch im Internet - und das kostenlos. Dann sollte man die Disziplin aufbringen, mindestens sechs Wochen am Stück jeden Tag zu zeichnen. Fünf bis zehn Minuten reichen, aber es ist wichtig, keinen Tag zu pausieren. Man kann dabei mit einfachen, relativ geometrischen Gegenständen anfangen. Auf diese Weise trainiert man seine Augen-Hand-Koordination, das heißt, die Hand lernt umzusetzen, was das Auge sieht. Genaues Hinsehen ist auch wichtig, sich nicht darauf zu verlassen, was man glaubt wie etwas aussieht.

Zeichnen ist ein Handwerk, das man ausüben muss, um es zu beherrschen. Regelmäßigkeit ist wichtig. Und Individualität ist wichtiger als Perfektion. Man setze zehn Zeichner vor ein Objekt und jeder wird es etwas anders zeichnen, jeder auf seine Weise. Es geht beim Zeichnen nicht ums Kopieren und eine Zeichnung darf wie eine Zeichnung aussehen. Für Fotorealismus gibt es Fotoapparate.

Es geht beim Zeichnen auch nicht vornehmlich um das Produkt. Man muss kein van Gogh sein, damit Zeichnen einen Sinn hat. Man muss ja auch kein Sternekoch sein, um etwas schmackhaftes zu kochen. Klar, es ist schön und motivierend, wenn etwas ansehnliches dabei herauskommt. Wichtiger ist aber der Prozess, vor sich, wo gerade noch ein leeres Blatt war, etwas entstehen zu sehen. Es geht darum, etwas zu erschaffen, etwas, das so noch nicht da war. Jede Zeichnung ist ein Unikat, ob man von einem Objekt oder von einem Foto zeichnet oder aus der Fantasie.

Und selbst wenn man im ersten Moment mit einer Zeichnung unzufrieden ist, sollte man nicht verzagen. Oft ist man direkt nach dem Zeichnen zu kritisch. Man sollte sie zur Seite legen und sie Stunden, Tage oder gar Wochen später nochmal anschauen. Oft kann man erst mit etwas Abstand eine Zeichnung objektiv beurteilen.

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